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Konferenz "Zen im
Westen"
im Lassalle-Haus,
Bad Schönbrunn, CH-6313 Edlibach / Zug
20. - 25. Juli 2014
Ende Juli fand im
Lassalle-Haus eine internationale Konferenz mit dem Titel "Zen im Westen"
statt. Sie hatte zum Ziel, die neuen Entwicklungen und Erfordernisse eines
westlichen und im Besonderen eines europäischen Zen zu benennen und zu
behandeln. Elf Referierende widmeten sich der Thematik unter verschiedenen
Titeln und ermöglichten so eine Standortbestimmung mit Ausblicken auf die
weitere Entwicklung des Zen im Westen. An der Konferenz nahmen 68 Personen
teil, die sich intensiv mit den Themen befassten und einen wichtigen Beitrag
an die Ergebnisse leisteten.
Im Folgenden werden die
wesentlichen Inhalte und Schlussfolgerungen der einzelnen Referate
dargestellt. Im Gesamten ergeben sich daraus Hinweise auf künftige
Entwicklungen des Zen, an denen sich auch die Glassman-Lassalle Zen-Linie
orientieren kann.
Zusammenfassung der Referate:
P. Dr. Christian
Rutishauser, Eröffnungsvortrag
Interreligiöse Kompetenz ist unumgänglich
Zu Beginn der Konferenz
stellte Christian Rutishauser einen Raster zur Verfügung, der es ermöglicht,
die im Rahmen der „interreligiösen Kompetenz“ diskutierten Themen
zuzuordnen. Dafür ist zunächst die historische Bedeutung des Glaubens in der
Vormoderne, der Moderne und der Postmoderne zu unterscheiden: währenddem in
der Vormoderne die Bereiche Recht, Wirtschaft, Politik, Kunst und
Wissenschaft in unserer Kultur vom christlichen Glauben gewissermassen
umgeben waren und dieser in alles hineinwirkte, trat in der Moderne die
Vernunft an dessen Stelle, wodurch die Religion gewissermassen zu einem
Element des „lifestyle“ wurde. In der Postmoderne gewinnt das Religiöse
wiederum an Bedeutung – diesmal in der Mehrzahl von Religionen, die auf uns
einwirken – und eine Kombination von Vernunft und Spiritualität wird zum
leitenden Element.
Religionen haben
mehrere Aspekte und Funktionen: als Weltdeutung, als ethisch-rechtliche
Weisung zum Handeln, als liturgische Gestaltung, als spirituelle Wege und
als Organisationen mit institutionellen Verfassungen. Damit ergeben sich
folgende Zuordnungen:
Thema |
Christentum |
Buddhismus |
Zivilreligion |
Weltdeutung |
Schöpfung / Erlösung |
Dharma,
Buddhanatur |
Urknall
- Evolution |
Ethisch-rechtliche Weisungen |
Moraltheologie |
8-facher
Pfad |
Säkulare
Ethik und Gesetze |
Liturgische Gestaltungen |
Kirchenjahr |
Riten |
Zivile
Zeremonien |
Spirituelle Wege |
Spirituelle Übung |
Zen-Weg |
Therapien und psychologische Wege |
Institutionen |
Kirchenstrukturen |
Klöster
und Sangha |
Demokratie und Rechtsstaat |
Im interreligiösen
Dialog, welcher für den Kontakt, den Austausch und ein friedliches
Zusammenleben der Religionen untereinander absolut notwendig ist, sollte
jeweils klar sein, über was gesprochen wird.
Niklaus Brantschen
Roshi
Zen im Lassalle-Haus – Ursprünge und Entwicklung
Niklaus Brantschen, der
zusammen mit Pia Gyger die Glassman-Lassalle Zen-Linie gründete, stellte in
einem persönlich gehaltenen Vortrag mit vielen Erinnerungen die bisherige
Entwicklung der Linie dar: Pia Gyger und Niklaus Brantschen kamen beide über
Hugo Enomiya Lassalle SJ mit Zen in Kontakt. Sie absolvierten ihre
Zen-Ausbildung in Japan bei Yamada Kôun Roshi und in Hawaii bei
Robert Aitken Roshi und bekamen von ihnen die Lehrbefugnis. Von Bernie
Glassman Roshi, New York, erhielten sie 1999 Inka Shomei, die
Bestätigung als Zen-Meister/in, und sie wurden Mitglieder der von Glassman
gegründeten White Plum Asanga. Sie wählten den Jesuiten Hugo
Enomiya-Lassalle und den amerikanischen Zen-Meister Bernard Glassman als
Namensgeber für die von ihnen gegründete Linie. Diese bedeutenden Meister
waren treibende Kräfte für die Verbreitung des Zen im Westen.
Bernie Glassman Roshi,
PhD.
Wenn Zen auf die Strasse geht – Zen out in the streets
Bernie Glassman
erläuterte anhand seiner Retreats auf der Strasse und der dort zu machenden
Erfahrungen die drei Eckpfeiler seiner Lehre: Not-Knowing, Bearing Witness
und Loving Action. „Not-Knowing“ (Nicht-Wissen) wird in Retreats auf der
Strasse realisiert, indem die Teilnehmenden nicht überblicken, was als
nächstes passieren wird und sie die Ereignisse deshalb auch nicht
rationalisieren können. „Bearing Witness“ (Zeugnis ablegen) geschieht dann,
wenn die Situationen zu Koans werden und gefühlt wird, was diese an innerer
Reaktion erzeugen. Auch „Loving Action“ (liebendes Handeln) ist in den
Retreats gefordert. Auf der Strasse lebend kann man nicht für sich allein
sein, und Zen macht offen für alle Lebenssituationen.
In den Auschwitz-Retreats lässt sich in einer extremen Situation erfahren,
was es heisst, andere nicht zu akzeptieren, und es stellt sich die Frage,
wie wir andere behandeln, die nicht unseren Konzepten entsprechen. Bernie
Glassman steht für ein soziales Engagement des Buddhismus und des Zen ein
und misst den Grad der spirituellen Reife analog zu Kobo Daishi (Gründer der
Shingon-Sekte) daran, wie man anderen dient. In allem habe es einen Riss,
woraus Fruchtbares erwachsen könne, wenn man ihn annimmt.
Fumon Nakagawa Roshi
Zen im Wandel der Zeit
Ebenfalls in einem
persönlich gehaltenen Bericht schilderte Fumon Nakagawa, wie er vor gut 20
Jahren der Liebe zu einer Frau folgend nach Deutschland kam und hier
geblieben ist. Er hat als einziger Soto-Mönch in Europa ein Kloster
aufgebaut, während es in den USA mehr als zwanzig derartige Klöster gibt.
Nakagawa sprach mit Bedauern vom Niedergang der Klöster in Japan, wo heute
in manchen grossen Tempeln nur wenige Mönche lebten. In seinem deutschen
Kloster in Eisenbuch (Bayern) pflegt er die Vermittlung eines „heilsamen
Lebens“. Zazen versteht er dabei nicht als buddhistische Übung, sondern
einfach als eine solche für Menschen – es vertiefe ihn und andere als
Menschen, nicht als Japaner oder Europäer.
Fumon Nakagawa benannte drei Elemente, welche eine Religion ausmachen:
Lehre, Praxis und Erfahrung. Lehre und Praxis ohne Erfahrung laufen die
Gefahr der Dogmatisierung, wohingegen in Praxis und Erfahrung ohne Lehre die
Möglichkeit der Prüfung, Korrektur und Bestätigung von Erfahrung fehlt. Im
europäischen Zen gibt es nach Nakagawa Lehre und Erfahrung, wohingegen es an
konkreten Praxisformen (wie etwa dem Leben in spirituellen Gemeinschaften)
mangelt. Als Stufen auf dem Weg nennt er (in Übereinstimmung mit dem
Theravada-Buddhismus) Sila (sittliche Verhaltensweisen), Samadhi
(Versenkung) und Prajna (Weisheit - Erfahrung). Auf diesem Weg wandelt sich
die gesamte Persönlichkeit; Emotionen werden zu Weisheit und Liebe, und im
Erwachen wird das Dasein als höchster Wert erkannt.
Bezüglich der Entwicklung des Zen verwies Nakagawa auf dessen Bedeutung als
Klosterkultur in der feudalistischen Edo-Zeit (1603-1868). Der Buddhismus
war in Japan zu dieser Zeit Staatsreligion und wurde von der Regierung
unterstützt. Die problematische Haltung mancher Zen-Meister während des 2.
Weltkrieges sei bisher nicht aufgearbeitet worden.
Unveränderliche Elemente des Zen sind nach Nakagawa: Zazen; Zen als
nicht-dogmatischer Weg; Prüfung und Bestätigung von Kensho; die
Herzensschulung.
Dr. Alexander Poraj
Roshi
Schüler-Meister Beziehung: neue Voraussetzungen für eine alte Tradition?
Ausgehend von zwei
Vorbemerkungen – (1) wir leben nicht Beziehung, sondern wir sind Beziehung
und (2) das Ich ist nicht eine fixe Grösse, sondern ein ständiger
Identifikationsprozess – hält Alexander Poraj als Grundsatz fest: die
Erfahrung des Zen ist die Erfahrung der Gegenwart. Sie kann nicht geübt
werden, da sie schon da ist. Die Übung besteht darin, sich nicht aus der
Gegenwart zu entfernen. Wenn man die Gegenwart annimmt („alles ist, wie es
ist“), dann gibt es kein „operatives Ich“. Währenddem religiöse Texte mit
Über-Ich-Strukturen arbeiten („du sollst“), beinhaltet Zen keine Regeln. Es
ist die Kunst der Gegenwart. In der Gegenwart zu sein ist etwas anderes, als
ohne Gegenwart zu handeln („alle wollen allen helfen, und keine/r will
mitmachen!“). Während Religionen das Ich stärken („das Ich stellt die Fragen
nach Religion und Wiedergeburt“), geht es in der Spiritualität um das
„Nicht-Ich“. Daraus leitet sich ab, dass wir uns in zwei unterschiedlichen
Zuständen befinden können: entweder wir sind gegenwärtig (z.B. im Sitzen),
oder wir bilden ein Ich (wenn wir Struktur brauchen).
Bezüglich des Lehrer-Schüler-Verhältnisses im Zen bedeutet dies zunächst,
dass der Lehrer zwar einen „Vorschuss an Übung“ hat, aber nicht einen
solchen an Gegenwart. Entsprechend kann es zwar Hierarchie in der
Wahrnehmung von Gegenwärtigkeit geben, wohingegen in der reinen Gegenwart
von zwei Personen keine Hierarchie möglich ist. Anhand von Koan kann man in
den Zustand von „Gegenwart“ kommen. Das Überprüfen von Antworten auf Koan
nach richtig oder falsch bedeutet dagegen nicht Gegenwart. In der
Wahrnehmung reiner Gegenwart gibt es nicht zwei Personen, die über ein
Drittes sprechen. Auf den Marktplatz zu gehen (vgl. Ochsengeschichte Bild
10) bedeute, in die Ich-Struktur zurückzukommen. Die
Lehrer-Schüler-Beziehung beinhaltet damit (1) eine Beziehung (mit
Vergangenheit etc.), und (2) die Möglichkeit, gemeinsam gegenwärtig zu sein.
Auf der Beziehungsebene können Schüler/innen dazu neigen, den Lehrpersonen
die Zuständigkeit dafür zu übertragen, dass es ihnen gut geht. Damit können
Lehrende idealisiert werden, was immer die Möglichkeit der „Entthronung“ in
sich trägt. Lehrende tun jedoch Dinge, welche der Ich-Struktur der Lernenden
zuwider sind. Im Feld dieser beiden Tendenzen dürfen die Schüler/innen die
Verantwortung für ihren Entwicklungsprozess nicht an die Lehrperson abgeben.
Die Zen-Übung setzt daher auch innere Stabilität voraus, und es ist nicht
ihre Aufgabe, diese zu vermitteln.
Eine Supervision des Lehrprozesses betrifft die Ereignisse auf der Ebene der
Ich-Struktur. Die Menschen des Abendlandes haben einen Vorteil darin, dass
ein kritischer Umgang mit sich selbst hier eher üblich ist als im Osten.
Dr. Linda Lehrhaupt
Sensei
Die verborgene Geschichte der Zen-Frauen
Die Stellung der Frauen
im Zen ist ein wichtiges Thema für Linda Lehrhaupt. Seit etwa 30 Jahren
werden auch alte asiatische Texte daraufhin untersucht. Am 8. Oktober 2010
wurde von der Soto Zen Buddhist Association eine Frauenlinie etabliert,
wobei Maha Pashupati (Majapajapati), eine Tante von Buddha, als Gründerin
der buddhistischen Nonnenorden verstanden wird. Die Frauenlinie umfasst
analog zur Männerlinie einen indischen, einen chinesischen und einen
japanischen Teil. Bei der Übertragung des Zen von China nach Japan sollen
Frauen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Westliche Zen-Sanghas ergänzen
die Linie durch wichtige westliche Zen-Meisterinnen des 20. und 21. Jh. Die
Frauenlinie besteht aus einer Aneinanderreihung von bedeutenden
Frauenpersönlichkeiten im Zen, die nicht notwendigerweise in einer direkten
Abstammungslinie zueinander stehen, sondern eher Dharma-Nachfolgerinnen von
Männern waren. Durch deren Etablierung soll die Darstellung von Zen als
männliche monastische Tradition erweitert werden.
Im Buddhismus bestand lange Zeit eine Geschlechtsdiskriminierung. Während es
zu Zeiten Buddhas die volle Ordination der Nonnenorden gab, verschwand diese
im Theravada und konnte deshalb nicht nach Tibet übertragen werden. Die
Ordination von Nonnen in der Zen-Tradition war jedoch durch die
Restriktionen im Theravada und tibetischen Buddhismus nicht betroffen. China
kannte und kennt die volle Nonnenordination, in welcher Tradition auch
einige gegenwärtige Zen-Frauen stehen.
1979 entstand in den USA die erste Zeitschrift für die spezielle Thematik
„Frauen im Zen“. Seit neuerem gibt es auch Sammlungen von Frauen-Koan wie
„The hidden Lamp“. Frauen bringen neue Elemente ins Zen: so etwa werden
Gefühle als Chance und nicht als Hindernis auf dem Zen-Weg verstanden. Die
im Westen aufgekommene Diskussion über den Charakter, die Bedeutung und die
Rolle von Kensho, die Lösung von Koan, höhere Bewusstseinsstufen und der
Abschluss des Koan-Studiums wird von Zen-Frauen unterstützt. Diese
grundlegenden Aspekte des Zen sollen nicht als ideale Vorstellungen
bestehen, sondern sich vielmehr in der Praxis des Alltags bewähren. Eine
gute Praxis heisst für Laien dabei auch, Familie und Arbeit nicht zu
vernachlässigen, sondern diese Aspekte als gleichwertige Elemente in die
Zen-Praxis zu integrieren. Frauen bringen zudem die Körperlichkeit in die
Zen-Praxis ein. Linda Lehrhaupt regt an, dass sich alle Zen-Praktizierenden
ebenso mit Koan über Frauen befassen sollten, wie mit solchen, die von
Männern handeln.
Dr. Dieter Wartenweiler
Sensei
Zen in einer globalisierten Welt
Ausgehend von einer
allgemeinen Charakterisierung der Globalisierung als Trend zur
internationalen Verflechtung in vielen Bereichen (Wirtschaft, Politik,
Kultur, Technologie, Kommunikation und Umwelt) beschäftigte sich Dieter
Wartenweiler mit der Stellung des Zen in einer wachsenden „Hyperkultur“.
Währenddem sich die Religionen mit den Auswirkungen der Globalisierung
beschäftigen, erwägen sie heute noch selten, dass sie selber in den
Globalisierungsprozess einbezogen werden können und sich dabei verändern.
Als Entwicklungsweg, der auch unabhängig vom Buddhismus begangen werden
kann, trägt Zen bereits globale Züge und kann damit einen konstruktiven
Beitrag an die Globalisierung leisten, der auch als geistiger Prozess zu
verstehen ist. Zen reicht mit seiner Hinwendung zum Unermesslichen in einen
Bereich, der jenseits der Religionen steht und damit a-dogmatisch ist. In
religiöser Hinsicht sind personale und nicht personale Vorstellungen der
letzten Wirklichkeit keine Widersprüche, und Zen wird damit zu einem Weg in
die Freiheit des Geistes. Bedeutungsvoll ist das Selbstverständnis des Zen
als Schule, die einen bewussten Beitrag an die kollektive
Bewusstseinsentwicklung zu leisten vermag.
Die Entwicklungen des Zen in einer globalisierten Welt betreffen drei
Bereiche. (1) Auf dem Weg in die Tiefe werden Zen und die Zen-Schulung die
psychologischen Erkenntnisse des Westens vermehrt einbeziehen – so
beispielsweise den Individuationsweg nach C.G. Jung oder die transpersonale
Psychologie. Im Dokusanraum werden auch seelische Ereignisse besprochen,
welche durch die Beschäftigung mit Koan ausgelöst werden. Dazu gehört ein
bewusster Umgang mit den Schattenaspekten der Persönlichkeit. Spontan
entstandene neue Koan können neue Lehrinhalte werden. Das Verhältnis von
Lehrenden und Lernenden „demokratisiert“ sich, indem die Unterschiede nur
noch die Fachkompetenz betreffen, jedoch nicht mehr die soziale Stellung.
Rein menschlich begegnen sich Lehrende und Übende auf Augenhöhe. (2)
Hinsichtlich des letzten Zieles unterscheidet sich Zen nicht von anderen
spirituellen oder mystischen Schulen. Weil die „Prüfung“ von spirituellen
Erfahrungen nur innerhalb eines Systems erfolgen kann, gewinnt in einem
spirituell globalisierten Umfeld die Evidenz des eigenen Erlebnisses an
Bedeutung. Damit kann es auch kein Primat von Erfahrungen oder Religionen
mehr geben, und es ist nicht das Privileg des Zen, das Unfassbare eher zu
verkörpern als andere Wege. (3) Der Weg auf den „Marktplatz“ dürfte in der
Zukunft des Zen ebenso eine grössere Bedeutung erfahren: Die Offenheit für
die Probleme der Welt und für die soziale Dimension des Zen wächst, die
Einstellung zum Materiellen verändert sich, und das Herz (jap. shin /
kokoro) wird in seiner Beziehungsqualität und praktischen Auswirkung neu
entdeckt.
Marcel Geisser Roshi
Zen – jenseits von Angst?
Marcel Geisser betonte
in seinem Referat zunächst die Radikalität des Zen, das zur Wurzel (radix)
führt und Menschen radikal verändert („wenn wir den Weg gehen, der tiefer
schauen lässt, dann sehen wir halt etwas: die Grundgesetze des Lebens und
des Geistes“). Die Ich-Illusion wird aufgehoben, und wir haben Angst vor
diesem Wegfall, Angst vor Nirvana. Die Basis von Angst liegt in
Missverständnissen (Geisser: „und ich gelobe, noch weitere hinzuzufügen!“).
Es ist die Angst vor dem Bodenlosen. Nach Geisser ist aber kein Halt
notwendig, denn „wohin fallen wir, wenn wir loslassen?“ Zur Überwindung der
Angst muss man erkennen, was man festhält. Das ist zu benennen. („Kopfhaare
scheren bedeutet heute kein Loslassen mehr – besser wäre es, für die
Ordination ganz lange Haare zu tragen!“) Das Karma ist eigentlich identisch
mit Gewohnheit. Wir haben gelernt, wie die Welt zu sein hat - („mein Geld,
mein Haus, mein Jesus etc., und einige Meins tasten wir nicht gerne an“).
Jesus und Buddha seien (historische) Wirklichkeiten – keine Konzepte – und
die Frage ist, wie sich unser Verhältnis dazu gestaltet.
Das Herz-Sutra zeugt vom Strom vollkommenen Verstehens, indem es die Leere
der fünf Skandhas (Körper, Gefühle, Wahrnehmung, Geist, Bewusstsein – „also
einfach das, was ein lebendes Wesen ausmacht“) durchleuchtet und dessen
Unbeständigkeit erkennt. Das ist ein logischer Schluss: alles ist in
Abhängigkeit und in irgendeiner Weise besteht es nicht als fixe Grössen
(„weder Augen noch Ohren“ etc. im Herzsutra). Es gibt damit zwei
Sichtweisen: Die Dinge sind (Form) und sind es doch nicht. Die
Zen-Patriarchen waren mutig und haben radikal alles fallen gelassen, woran
sich das Ego hängen kann. Im Ursprung der Linien war Buddha in diesem Sinne
klar – der Buddhismus hat sich erst nachher gebildet. Zen ist offen und weit
(„und deshalb kann ich keine Religion hineinstopfen!“). Zen ist klar
jenseits von Religion, und man kann es deshalb nicht überwinden. Wir können
es nicht transformieren. Zen als Absolutes ist jenseits jeder Schule.
Zen-Buddhismus jedoch ist Form, aber die zentralen Lebensgesetze sind etwas
anderes. Vergänglichkeit ist keine Religion. Geisser stellt die radikale
Frage: „Können wir in den Bereich der Weite gehen?“, und er stellt sich
kritisch zu einem „christlichen Zen“ ein. Er fragt: „Sind wir in
Übereinstimmung mit den Lebensgesetzen? Können wir loslassen?“ Wir dürfen
nicht an einer geformten Religion hängen bleiben. In Bezug auf ein
„Christliches Zen“ fragt Geisser: „Geht es wirklich um die grosse Freiheit?
Werde ich dem Wort Zen gerecht?“ Zen-Gemeinschaft als ein Gefäss darf nicht
mit dem Inhalt verwechselt werden.
Dr. Diego Hangartner
Kontemplative Wege im Spiegel der Neurowissenschaften
Der Pharmakologe Diego
Hangartner führt im Rahmen der Vereinigung „Mind and Life“
Forschungsarbeiten bezüglich der Wirkung von Meditation durch und steht in
direktem Austausch mit dem Dalai Lama, welcher derartige Projekte aktiv
unterstützt. Nach seinen Erläuterungen verändern Meditation und
„bewusstseinsverändernde Substanzen“ nicht das Bewusstsein, sondern die
Wahrnehmung von Bewusstsein. Bewusstsein ist immer da, wobei wir nicht
wissen, was es ist. Die „Neurophänomenologie“ als relativ junge Wissenschaft
umfasst die Bereiche Neurowissenschaften, Phänomenologie (Erfahrungen) und
Kontemplatives Training und untersucht deren Zusammenhänge.
Es wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass durch Meditation die
Gamma-Frequenz des Hirns (relativ hochfrequent mit 40 Hz, steht im
Zusammenhang mit physischer Kontrolle, Konzentration, Klarheit, Aufnahme,
Voraussicht) – also die bewusste Präsenz – gesteigert wird. Der
Zusammenhang ist dabei linear: je grösser die Anzahl lebenszeitlicher
Meditationsstunden, desto ausgeprägter die Veränderung der Gamma-Werte.
Langzeitmeditierende haben auch in der Ruhephase andere Hirnaktivitäten als
Menschen, die nicht meditieren. Die Selbstbeobachtung von erfahrenen
Meditierenden („wie tief bin ich in der Meditation?“) korreliert mit hoher
Signifikanz mit der gemessenen Veränderung der Gamma-Werte. Dadurch kann
festgestellt werden, was eine Gamma-Veränderung bedeutet.
Die Verbindung der 1.-Person-Sicht mit 3.-Person-Resultaten ist ein
bedeutender wissenschaftsmethodischer Fortschritt. Sie ermöglicht, den
Zusammenhang von Emotion, Empathie (Fühlen mit anderen und Fähigkeit, andere
zu verstehen) und Compassion (Fühlen für andere) zu untersuchen und
fruchtbar zu nutzen. Mitleid als selbstverzehrende Emotion erscheint dabei
als Fehlrichtung der Empathie.
Burn-out Phänomene entstehen durch sog. „empathischen Stress“, der negativ
wirkt (Distress). Durch die dauernde Aktivierung der Spiegelneuronen werden
die Schmerzzentren im empathischen Menschen langzeitig gereizt, was eine
krankmachende Wirkung hat (z.B. beim Personal im Gesundheitswesen). Die
Meditation hat keinen direkten Einfluss auf das Mitgefühl, ermöglicht aber
einen bewussten Umgang damit. Empfehlenswert ist das Training von
Compassion, wie dies in der buddhistischen Kultur geübt wird (z.B. mit
Metta- und Karuna-Meditationen). Statt der kontinuierlichen Reizung der
Schmerzzentren durch das Mitfühlen wird durch die aktive Hinwendung zu
anderen Menschen eine andere Hirnregion aktiviert. (Buddhistische Übungen
werden als Gegenmittel für jeweilige Unausgewogenheiten verstanden.)
Künftige Forschungen können die Wirkung von Vipassana, Zen-Meditation sowie
den Einfluss der Lehrpersonen und der Sangha auf die Meditierenden
betreffen.
Prof. Dr. Michael von
Brück, Zen- und Yoga-Lehrer
Zen – Treue zur Tradition oder kreative Aufbrüche?
Im Umgang mit der
Zen-Tradition gilt es nach Michael von Brück, das Zen-Erbe „zu erwerben“,
dies im Unterschied zu einer reinen Wiederholung tradierter Muster.
Tradition prägt uns dahin, wie wir jetzt sind („das ist Karma“). Diese
Prägungen sollten bewusst gemacht werden, denn die Art und Weise, wie wir
die Welt erleben und verstehen, ist traditionsgeprägt. Zen kommt in ein
neues soziales Umfeld bezüglich Wissenschaft und Technik, Interkulturalität,
Bedeutung der Frauen und Verbindung von Ökologie und Weisheit (Ökosophie).
Von Brück versteht Meditationsbewegungen als „Kampfansage an die bürgerliche
Kultur“. Der Buddhismus entwickelte sich in „Superhierarchien“, wobei der
angehäufte Reichtum wiederum zu Buddhismusverfolgungen führte. Die
Zen-Überlieferung „ausserhalb der Schrift“ steht diesen Hierarchien entgegen
(vgl. der 6. chinesische Patriarch Hui Neng, der ein Analphabet gewesen sein
soll), und anstelle der Hierarchie trat der charismatische Lehrer (nicht
selten waren Zen-Meister „Originale“). Zen steht damit in der Tradition des
ursprünglichen Upaya-Prinzips (Buddha lehrte die Befreiung in einer Weise,
welche für die jeweils angesprochenen Menschen hilfreich ist). Im
japanischen Zen entstand aber von Anfang an wieder eine Hierarchie, und Inka
Shomei entsprach einer staatlichen Examination.
Michael von Brück nannte sieben Merkmale zur gegenwärtigen Umgestaltung des
Zen: (1) Zen sollte keine kognitiven Dissonanzen aufweisen – dazu verhilft
ein unterscheidender Geist ohne diffuse Mystik. So gesehen ist ein
„christliches Zen“ problematisch, wenn es in die Tiefe geht („aber auch das
Christentum darf sich verändern!“). (2) Die Gemeinschaft wird zur Trägerin
des Zen. Die Bedeutung der Lehrenden wird geringer – sie sind keine
Heiligkeiten, sondern haben die Funktion, nicht-kognitives, gelebtes Wissen
weiterzugeben. Im Umgang mit ihnen geht es um ihre unmittelbare Präsenz,
nicht um eine Heilserwartung. (3) Innerhalb des Zen-Weges können sich
Situationen entwickeln, die der psychotherapeutischen Behandlung bedürfen.
Dies ist zu akzeptieren und Betroffene sind in eine entsprechende Behandlung
weiterzuweisen. (4) Die authentische Erfahrung der Lehrperson muss in der
Praxis wirken und soll nicht einfach zufolge ihrer Lehrfunktion vermutet
werden. (5) Schüler/innen sollen ihre ureigene Lebenskraft entwickeln und
eine Freiheit von kollektiven Zwängen erreichen. Die Einheit mit allen
Lebewesen soll sich „ökosophisch“ ausdrücken. (6) Die Zen-Praxis muss in die
Gemeinschaft führen, welche sich wiederum in allen sozialen Bereichen
ausdrückt. (7) Humor soll Platz haben. Er zeugt von Selbstdistanz und einer
lustvollen Demut! Für den Zen-Weg allgemein empfiehlt von Brück Genauigkeit
(exaktes Sitzen), Geduld über lange Zeiträume, sowie Gelassenheit und den
erwähnten Humor.
Dr. Anna Gamma Roshi
Zukunftsperspektiven der Glassman-Lassalle Zen-Linie
Als Leiterin der
Glassman-Lassalle Zen-Linie äusserte Anna Gamma ihre Wünsche für die weitere
Entwicklung der Linie. Diese steht gegenwärtig im Übergang von der
Pionierphase (welche durch die Visionen und das „Feuer“ der Gründer geprägt
ist) in eine Differenzierungsphase, wo es darum geht, dass die Lehrenden der
zweiten Generation zu „Hütern und Hüterinnen des Erbes“ werden. Sie
verändern nicht einfach alles um des Prinzips willen, sind aber auch nicht
einfach reine Verwalter des Erbes. In der Differenzierungsphase besteht die
Gefahr einer „Rivalität und des Geschwisterkampfes“, und es stellt sich
dabei die Frage, ob sich die Beteiligten verlieren, oder ob sie mit
genügender Integrationskraft neu zusammenfinden. Ein Organismus bleibt
lebendig, wenn sich die Nachfolger/innen mit dem Ursprungsimpuls verbinden
können und diesen neu in die Zeit übersetzen. Dabei hat jede/r Zugang zum
„Gründerimpuls“, der in der Glassman-Lassalle-Linie durch die Elemente
intrareligiöser Dialog, interreligiöser Dialog und interkultureller Dialog
geprägt ist. In der Gründerzeit ging es auch um die strukturelle
Partnerschaft von Mann und Frau sowie um die Kooperation von zwei religiösen
Gemeinschaften. Die Schwierigkeiten, die sich manifestierten, wurden dabei
als Kostbarkeit verstanden. Sie ermöglichten und ermöglichen die Begegnung
und Auseinandersetzung mit Themen wie eigene Grenzen, Hässlichkeiten, Scham
und Schuld. Dabei ist im Auge zu behalten, dass das Universum von
Kooperation lebt, was Begegnung und Auseinandersetzung beinhaltet.
Die Einzigartigkeit der Lehrpersonen der Glassman-Lassalle Zen-Linie zeigt
sich darin, dass die Linie in der Schweiz neben dem Stammhaus verschiedene
neue Zen-Zentren hervorgebracht hat. Wichtig ist auch eine Öffnung der
Zen-Linie nach aussen: zu andern Schulen hin, mit deren Vertretern die
Formen des Zen in einem lebendigen Austausch reflektiert und
weiterentwickelt werden können. Für die Glassman-Lassalle Zen-Linie stellen
sich weitere Themen bezüglich der Stellung der Frauen, der Beziehung von
Lehrenden und Schüler/innen, des Zen als Weg der Bewusstseinsentwicklung,
der interkulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung und Wirkung des Zen in
der Gegenwart sowie der Kooperation zwischen geschwisterlich verbundenen
Zen-Zentren. Es geht darum Mensch zu werden, zu den eigenen Schattenseiten
zu stehen, und den verborgenen Schatz zu finden.
Konferenz-Organisation
und Leitung:
Dr. Anna Gamma und Dr. Dieter Wartenweiler
Zusammenfassung
der Referate:
Dieter Wartenweiler
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Bernie Glassman Roshi -
Anna Gamma Roshi
Zum Ausdrucken:
Zusammenfassung der Referate
Link:
Videos der
Referate
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