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Blog
Dies ist eine Seite für Artikel verschiedener
Verfasser/innen, welche über ihre Erfahrungen mit Zen und Meditation und
allgemein über ihr Leben in
Zeiten des Corona-Virus berichten.
Beiträge werden gerne erwartet unter
info@zendo-staefa.ch .
Die Blogs sind chronologisch angeordnet - das neueste zuoberst.
1. April - Monica Bürki
Letzten Januar kam eine leere 3-Zimmer-Wohnung
mitten in den Toggenburger Bergen „einfach so“ zu mir. Ein Geschenk das
Lebens. Noch immer schwingt Leere in ihr; einige wenige Möbel fanden Platz.
Als die Zeit des Lockdowns kam, war diese „Klause“ genau rechtzeitig so weit
bereit, eine, zwei oder drei Personen aufzunehmen für eine Weile. Zum
Dasein, Stillsein, Meditieren oder auch nicht, Spazieren, vielleicht zum
Musizieren, zum Schreiben, zum Kochen, Essen, Reden, Schweigen.
In diese Wohnung und an diesen Ort zog es mich die letzten fünf Tage.
Derweil meine Familie in Stäfa blieb. Unsere Teenager-Mädchen arbeiten von
zuhause aus für die Schule. Mein Mann arbeitet als Lehrer ebenfalls von
zuhause aus. Dank technischer Möglichkeiten ist mir das Arbeiten von hier
aus teilweise möglich. So kam es zu einer mir geschenkten Zeit in diesem
Refugium.
Von verschiedenen Seiten wurde ich gefragt, ob es meiner Familie gutgehe -
in dieser speziellen Zeit - so ohne mich? Ob wir einander nicht vermissen
würden. Das mag sein. Und doch: es fehlt nichts. Es ist gut, hier zu sein.
„Allein“. Und gleichzeitig in Verbundenheit. Diese Zeit, in der viele
Menschen in ihrer Geschäftigkeit innehalten, bringt vieles klarer an den
Tag. Sie fordert mich nochmal anders und durchdringender, meine
Vorstellungen und Ideen, „wie etwas sein sollte“, ganz zu lassen. Was ist
eine „gute Ehe“? Was ist eine „gute Mutter“? Was ist eine „ganze Familie“?
Was ist eine „Meditierende“? Was ist eine „Zenschülerin“? Ich weiss es
nicht. Ich habe keine Ahnung.
In diese Ahnungslosigkeit falle ich hinein, geht durch sie hindurch - und
weiter. Da gibt es keinen vorgegebenen Weg mehr. Da, wo meine Vorstellungen
von allem enden - von dem was ich dachte, annahm, und zu sein meinte. Da
beginnt es: jeden, wirklich jeden Moment genau spüren, was JETZT zu tun ist
28. März - Peter Schwegler
Sitzen geht auch mit einer Behinderung.
Seit Januar leide ich an einer neurologischen Störung. Die stärkste
Auswirkung davon ist, dass ich nur noch undeutlich sprechen kann, was für
mich sehr anstrengend ist und vom Gegenüber volle Konzentration zum
Verständnis erfordert. Zudem habe ich im Gesicht Zuckungen, die ich kaum
kontrollieren kann.
Was hat das alles mit Zen und unserer Zen Praxis zu tun? Nachdem ich die
publizierten Blogs gelesen hatte, dachte ich, dass ich keinen passenden
Beitrag schreiben könne und blockierte mich damit selbst. Dann fragte ich
mich, weshalb mein Beitrag passend sein muss – was immer das heisst – und
löste damit meine Blockierung.
Es stellte sich die Frage, ob ich mit meiner Behinderung Zazen üben könne.
Wieder musste ich mich von einer Vorstellung lösen. Sitzen heisst absolut
ruhig, bewegungslos sitzen, ruhig und achtsam atmen. Beides gelingt mir
zurzeit nicht. So beginne ich das Sitzen mit der Lektüre eines Textes. Dann
sitze ich «zappelnd» auf meinem Stuhl und versuche zur Ruhe zu kommen. Nach
einer gewissen Zeit kann ich Stille wahrnehmen und komme mehr zur Ruhe. Das
gibt mir die Kraft, mit meiner schwierigen Situation weiter zu leben und
weiter zu üben. Wie es weiter geht, weiss ich nicht – weiss niemand. Nicht
Wissen.
24. März - Kathrin Stotz
Gestern, bei
unserem verbindenden Zoom-Sangha-Gespräch, zeigten sich all unsere
verschiedenen Lebensumstände und Gefühlslagen – jeder und jedem von uns
fällt ein „Schicksal“ zu, ohne dass wir es wählen können oder danach gefragt
worden wären. Tiefes Gassho für das Teilen Eurer Gedanken und Gefühle!
Barbara hat mir geschrieben,
eine Meditierende im Zendo Inneres Lind, die im Universitätsspital Zürich
Covid-19-Patienten pflegt, jetzt und für lange Zeit – so lange wie
PatientInnen kommen werden. Sie sucht das Gespräch, da sie voraussieht, was
auf sie zukommt auf der Intensivstation und Angst davor hat. Angst, das Leid
nicht ertragen zu können, das ihr begegnet, dem Stress nicht gewachsen zu
sein, dem sie ausgesetzt ist, Angst vor Ansteckung und der Weitergabe an
Angehörige. „Es ist Anhaftung, gegen die ich nichts machen kann“, schreibt
sie mir.
Mich trifft ihr Ruf
zutiefst: So ist es, wir sind in unserer Anteilnahme am Schicksal anderer
und unserer selbst Sekunde für Sekunde der unfassbar starken Energie
ausgesetzt, helfen zu wollen, leben zu wollen. Dies ist die Grundlage
unseres Lebens, die Voraussetzung von Verbundenheit und Engagement. Aus der
Sorge um uns selber können wir als Menschen auf andere schliessen und sind
bereit, ihnen zu helfen. Ich hoffe, dass diese Anhaftung nie versiegt, denn
sie ist der Ursprung der Liebe. Ich spüre, wie das Zen, wenn wir mitten
hineingeworfen werden in Leid und Stress und es nicht nur von Ferne, auf dem
Kissen bedenken, ein anderes Gesicht erhält, und dass Ideen von
Unberührbarkeit und Souveränität abfallen. Nein, die Verwundbarkeit, die
Angst, traumatisiert zu werden, die Erschütterung – sie gehören dazu, sie
sind ES. Nicht wer solche Gefühle nicht mehr kennt, lebt Zen, sondern wer
ganz von ihnen durchdrungen ist, sie sieht in ihrer Tatsächlichkeit und in
ihrem Potential, uns auf den Grund des Herzens zu leiten.
Barbara fragt mich nach
einem Zen-Satz, einem Mantra, das sie meditativ verwenden kann im Alltag.
Mir kommen die Leitsätze von Bernie Glassman in den Sinn: Not knowing,
bearing witness, loving action. Nicht wissen – wir sehen nichts voraus, und
kennen unser Schicksal nicht – sich dem Nichtwissen anvertrauen. Zeugnis
ablegen – da sein, mitfühlen, die Hilflosigkeit bezeugen. Loving action –
liebendes Handeln – das was die Pflegefachfrauen und -männer jeden Tag tun.
Barbara möchte diese Worte auf eine Karte schreiben und sagt dazu: "So ist
es wirklich. Das beruhigt mich sehr – Mitgefühl leben zu dürfen. Die Ängste
sind da. Ich versuche sie sein zu lassen, wie ein Möbel in einem Raum."
23. März - Iren Meier
Jeden Morgen ein kleines Gedicht. Ich lese, suche, finde es und schicke es
einem Freund. Ein leiser Dialog zwischen uns. Heute sind es die Worte von
Gioconda Belli, der Lyrikerin aus Nicaragua.
Ich sage Dir,
dass die Solidarität
eine Zärtlichkeit
der Völker ist.
Solidarität. Ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens. Die Haltung der
Verbundenheit. Bei jeder Pressekonferenz der Behörden wird an sie
appelliert. In unserem eigenen Sprachgebrauch taucht sie - zeitweise
verschollen - wieder auf. Solidarität zwischen den Generationen, zwischen
den Starken und den Schwachen. Mein Eigenes zurückstellen zugunsten des
Anderen, des Nächsten. So schwer. Bei Familie und Freunden mag es noch
gehen. Aber je grösser der Radius wird, umso schwerer, umso abstrakter.
Vielleicht weitet diese verstörende Erfahrung, die wir hier nun machen,
unseren Blick und stärkt unsere Fähigkeit zur - jetzt lebenswichtigen -
Solidarität. Im Radio hat eine Frau gesagt: sie befinde sich nun seit ein
paar Tagen in der Isolation. Und beschrieb ihren Raum mit „Haus, Garten,
Spaziergängen und hin und wieder Einkäufen und virtuellem Kontakt mit
Enkelkindern und Freunden.“ Die Ehefrau eines politischen Gefangenen im
Teheraner Evin Gefängnis sagte etwa zur gleichen Zeit: „Mein Mann existiert
seit 1000 Tagen in einer winzigen, schmutzigen Zelle, isoliert, unter uns
nicht vorstellbaren Bedingungen. Keine Sonne. Kein Himmel. Keine frische
Luft. Keine Seife, kein sauberes Wasser. Keine Matratze, nur Tücher am
Boden.“
Die Zärtlichkeit der Völker. Mich berührt dieses Bild. Und ich verbinde es
mit Kathrins Zeichnungen vom 19. März in diesem Blog. Ich mag das Bild, weil
es Grenzen und Trennung aufhebt. Weil es sanft ist. Und leise. In dieser
unverhofften äusseren Stille kann man weit hören. Und in der Abwesenheit
äusseren Alltagslebens weit sehen. Sehr weit. Das Erleben meiner eigenen
Verletzlichkeit steht momentan im Zentrum. Meine Gedanken kreisen um mein
Befinden. Aber der Stillstand und die Stille ermöglichen mir, dass meine
Antennen noch ganz anderes wahrnehmen. Vielleicht auch die Verwundung jener,
von denen ich bisher nur gehört und gelesen habe. Die nur aus weiter Ferne
als Nachricht oder Bild meine Ohren und Augen streiften. Und selbst das
störte oft. Doch ganz leise, in aller Stille löst sich diese Ferne auf, die
Distanz schrumpft zusammen und alles ist, alle sind da.
Morgen werde ich dem Freund dieses Gedicht von Helena Aeschbacher-Sinecka
schicken. Die Dichterin lebt seit Jahren zurückgezogen, fast als
Einsiedlerin, im Kloster Kappel am Albis.
Die Stille
müssen wir in uns tragen
wie das Meer
wie den Himmel
wie das Licht
22. März - Romano Locatelli
Was ich denke ist überholt. All meine Gedanken
werden überdacht, und schlussendlich ist auch dies nicht mehr wahr, nicht
mehr relevant. Jetzt, habe ich auf einmal mehr Zeit. Das Zendo ist
geschlossen, Fitness und all meine Freizeitbeschäftigungen sind nicht mehr
aktuell - was für ein Wunder.
Ich arbeite weiter in meiner Spitex, die noch bedeutender wurde, da sie in
der Grundverorgung der Mitmenschen eine Stütze ist. So ein Glück, dass ich
helfend begleiten darf. Wer hätte das gedacht, dass wir Pflegfachpersonen so
geehrt werden. Durch meinen Kollegen bekomme ich Mundschutze, Handschuhe und
Desinfektionsmittel auf Vorrat.
Dafür habe ich jetzt ZEIT bekommen, ganz gemäss dem Spruch: "Bedenke wie
kostbar es ist…" Es bleibt der Moment des JETZT, auch wenn er bei mir noch
in der Vergänglichkeit hin und her fliesst. Da ist keine Angst, da ist das
Herz, das sich öffnet und schliesst - und ist, wie es ist. Danke der Lehre,
die mich trägt und mit Sinn erfüllt, die mich in diesem Chaos führt.
Romano
21. März - Thomas Albiez
Seit ich aus den Winterferien im Engadin Ende
Februar zurück bin, hat sich kein «Alltag» mehr eingestellt. Gerade die
letzte Woche bin ich einige Male auf die Probe gestellt und die Auffassung
über mich selbst in Frage gestellt worden. Bisher glaubte ich zu wissen, was
es bedeutet, nicht zu wissen, was kommt, …mich auf dieses Nicht Wissen, was
der nächste Tag bringt oder wie eine Person auf Neuigkeiten reagiert,
einstellen zu können. Gerade denke ich, dass es die Erfahrung ist, Erfahrung
aus Vergangenem, bereits Erlebten, auf welche ich zugreife, um mit diesem
Nicht – Wissen umgehen zu können. Also kein Nicht-Wissen sondern eher
Selbsttäuschung oder einfach eine Floskel?
Jetzt gibt es keine Erfahrung, nichts Vergleichbares, nicht zuvor Erlebtes
auf das ich zugreifen kann. Und plötzlich tut sich da ein Nicht – Wissen
auf, Nicht- Wissen wer ich bin und was ich bin und mit Reaktionen
meinerseits konfrontiert und überrascht….
In einer der unzähligen Instruktionen, die ich letzte Woche mit dem
Pflegepersonal durchführte, äusserte ich mich dahingehend, dass wir uns
bisher immer gewohnt sind, genügend Material zu haben. Uns immer an die
State of the Art Gesetzmässigkeiten halten konnten. Jetzt gilt es zu
Improvisieren, einen Weg zu finden, zwischen grösstmöglicher Sicherheit bei
sparsamen Umgang mit Ressourcen, bzw. keinen Ressourcen mehr. Das sind wir
hier in der Schweiz nicht gewohnt. Aber wir werden nun damit rechnen müssen,
das wir uns auch anders helfen müssen, mit weniger oder was auch immer. Wir
wissen es eben nicht.
21. März - Dominique von Matt
Stundenlang las und hörte ich in
italienischen und Schweizer Medien alle auffindbaren Berichte zur Krise,
realisierte bald, welche Dimension die Pandemie erreichte und hoffte dabei
auf irgendeine Nachricht zu stossen, welche Hoffnung geben konnte.
Paradoxerweise waren es die Mitteilungen auf Whatsapp unserer italienischen
Freunde, die „Testimonianze“ von KrankenpflegerInnen aus den betroffensten
Spitälern in der Lombardei, die Berichte, die zeigten, mit wieviel
Engagement, Fantasie und Warmherzigkeit gegen die Krise angegangen wird.
Ich teile Dieters Hoffnung, dass diese Pandemie den Weg zu einem neuen
kollektiven Bewusstsein ebnen könnte; wir alle werden uns in dieser Zeit
verändern. Dieses neue Bewusstsein könnte die Voraussetzungen schaffen für
die Lösung der gigantischen Probleme, mit welcher die Menschheit in den
kommenden Jahrzehnten konfrontiert sein wird. Dennoch ist diese Pandemie
momentan eine Katastrophe und muss als solche verstanden und bekämpft
werden. Wir alle suchen wohl nach Möglichkeiten, einen Beitrag, und sei er
auch noch so klein, dazu zu leisten.
21. März - Marco Bühler
Im Moment ist unser Empfinden zweierlei. Da
gibt es das grosse Mitgefühl. Viele von uns erleben im Moment die
körperlichen Grenzen, andere stehen in den Gesundheits- und Schaltzentralen
vor überwältigenden Aufgaben, wiederum andere werden von zermürbenden
Ängsten geschüttelt, viele stehen unausweichlich und mit voller Hingabe nach
wie vor im Dienst der Gesellschaft oder wiederum andere erheben sich jeden
Morgen in die Ungewissheit und gehen den verlangten nächsten Schritt. Jedem
von uns gebührt damit aus der Tiefe des Herzens eine tiefe Verneigung der
Wertschätzung für seinen Platz im einen Puzzle der sichtbaren Welt.
Und da gibt es gleichzeitig das grosse Gewiss-Sein, dass die Welt gerade ein
so dringend benötigter Re-Set erfährt. Aus der Tiefe des Lebensflusses
geschieht der Impuls, welcher alles Bisherige unterbricht. Er lässt uns bei
Seite treten um die volle Wucht des Lebensfliessens passieren zu lassen. Da
gibt es nichts zu verändern, nichts zu stoppen, nichts voranzubringen. Das
Lebensfliessen gestaltet sich im Moment selber, es bahnt sich seinen Weg. Es
gilt dies geschehen zu lassen. Und im Geschehen-lassen ergeben sich zwei
grosse Chancen. Zum einen werden im vordergründigen Puzzle der sichtbaren
Welt durch Entschleunigung und Kühlung Strukturen erkennbar, welche mehr der
Natur des Lebensfliessens entsprechen. Und zum anderen besteht im
Geschehen-lassen die Chance, die Optik auf das Leben verändert zu erleben.
21. März - Iren Meier
Wer es könnte
die Welt hochwerfen
dass der Wind
hindurchfährt
Hilde Domin hat dies vor Jahrzehnten geschrieben. Im Exil, in das die
deutsche Jüdin während des Dritten Reiches flüchten musste. Dieses winzig
kleine Gedicht, dieser Satz begleitet mich seit Jahren. Heute ist es, als
sei die Bitte der Dichterin erhört worden.
Ich komme eben vom Markt im Quartier. Der Bauer ist wie jeden Samstag da,
frühmorgens. Ein einzelner Stand, wie immer. Das ist auch jetzt erlaubt. Von
weitem nehm ich nichts anderes wahr. Aufatmen. Kein Wind hat diesen kleinen
lokalen Ausschnitt der Welt gestreift. Oder doch? Da gibt es eine
Absperrung, eine dicke Plastikwand trennt Kunden und Verkäufer, das Gemüse
und das Obst sind nur noch undeutlich zu sehen, die Etiketten der Konfitüre,
die die Bauersfrau produziert, nicht mehr lesbar. Brombeer? Quittengelée?
Der Verkäufer nimmt meine Tasche und wir gehen dem Stand entlang, er auf
seiner Seite, ich auf meiner. Ich bestelle, er füllt ab. Schritt für
Schritt. Konzentriert. Kein Hin und Her, kein: „Haben Sie nicht noch andere
Äpfel“, kein: „Broccoli oder Salat, ich muss noch überlegen“. Wir sehen uns
nur undeutlich. Aber wir sind einander ganz zugewandt. Der nächste Kunde
wartet zwei, drei Meter weit entfernt. Niemand drängt. Am Ende der Schleuse
sitzt der Bauer an einer improvisierten erhöhten Kasse, sie erinnert mich an
eine Zirkuskasse. Sein Gruss ins Wochenende ist ein geschenkter Strauss
Tulpen. Und ich trage meinen Schatz - eine Tasche, gefüllt mit frischem
Gemüse und Früchten - nachhause. Ich hab dieses Privileg, quasi vor dem Haus
gesunde Nahrung kaufen zu können, nie für selbstverständlich genommen. Aber
diese tiefe Dankbarkeit hab ich noch nie gefühlt. Der Bauer schenkt in
dieser verstörenden Zeit nichts weniger als verlässliche Fürsorge. Ich bin
auf ihn angewiesen. Existentiell.
Hilde Domin hatte sicher nicht meinen Bauern im Blick oder den
unspektakulären Alltag in einer friedlichen Schweizer Stadt. Aber der Wind
fährt durch die ganze Welt hindurch. Durch alle Regionen und Länder. Auch
dort, wo Windstille herrschte. Keine Grenzen respektierend. Ich nehme es in
jedem Moment wahr. Wie alles abfällt. Auch das, was ich noch zu halten
versuche. Radikal. Die Herausforderung: sich hinzugeben. Dem, was ist. Ein
starkes Symbol sind all die Plastikwände, Plexiglasscheiben, Absperrungen,
Abstände, die nun überall präsent sind. Zum gegenseitigen Schutz. Sichtbare,
äussere Trennung, wo die Verbundenheit, wo die Einheit deutlicher wird als
je. Sich aufhebender Widerspruch. Eine vielleicht zu grosse Herausforderung
für viele. Nicht-Wissen. Nichts als offene Weite.
In dieser klingt Rose Ausländers Gedicht wie ein Gebet:
Und Wiesen gibt es noch
und Bäume
und Sonnenuntergänge
und Meer
und Sterne
und das Wort
das Lied
und Menschen
und
19. März - Hendrikje Posch
Der
Corona-Virus lässt die Welt innehalten. Das erlebe ich, trotz allem
Schwierigen auch als stimmig. Der Alltag ist auf das Existentielle
zurückgefahren und es wird deutlich, wie wenig es an Dingen, Aktivitäten
etc. tatsächlich braucht. Und der Corona-Virus zeigt uns eindringlich, wie
kostbar dieses je eine einzigartige Leben ist. Damit wird auch direkt
spürbar, wie verletzbar wir sind. Dabei geht es nicht um seelische
Verletzbarkeit. Vielmehr scheint gerade jetzt im Frühling, wo sich das erste
zarte Grün an den Ästen zeigt, weisse Anemonen den Waldboden wie einen
hellen lichten Teppich überziehen, hier und da Schlüsselblumen in ihrem
hellen Gelb hervorlugen, die Singvögel erwachen - so scheint gerade jetzt im
Frühling der Kontrast besonders stark zu dem lebensbedrohenden
Virusgeschehen, das noch so wenig fassbar in der Luft liegt. Langsam rückt
es näher. Hier ist eine Schwester betroffen, dort ein naher Bekannter, man
liest heute, auch die Pflegeberufe und Ärzte hat es erreicht. Bisher verlief
es noch eingiermassen glimpflich - ob das so bleibt? Die Nachrichten aus
Bergamo sind erschreckend und berührend. Können wir uns vom Tod berühren
lassen?
Seit ein paar
Tagen habe ich mich in Selbstquarantäne begeben. Eine gute Freundin ist
betroffen. Möglicherweise trage ich den Virus. Aus der zunächst begrüssten
Retraite und Leerzeit wird eine Erfahrung von Isolation. Und auch: ich bin
nicht alleine damit. Wieviele befinden sich jetzt in Quarantäne? Weil sie
betroffen sind? Oder aus Vorsicht? Weil sie alt sind? Oder krank und
besonders verletzbar? Was mögen sie erfahren? Das menschliche
Angewiesen-SEIN auf Kontakt, Austausch, Nähe, Berührung, Spiegelung,
Verstanden werden, Angenommensein, Zugehörigkeit - das ganze soziale Wesen
bäumt sich auf und meldet sich. Was hat das mit Zazen zu tun? Eben genau
dies. Ob auf dem Kissen - alleine zuhause oder gemeinsam im Zendo oder
mitten im Wald auf einem Baumstamm - es geht nicht alleine auch wenn da
Niemand ist, und im All-Einen aufgehoben. In Notzeiten wie dieser, scheint
mir, wird das Aufeinander-Angewiesen-Sein und die unendliche Verletzlichkeit
soviel spürbarer. Alles ist gut. Und doch?
19. März - Kathrin Stotz
Du würdest nicht lange überleben als
Einsiedler in der Natur, ausser Du hast bei Deiner Klause einen Fischteich
angelegt und eine Angel im Haus! Mich dünkt, wir seien so vollständig
aufeinander angewiesen und miteinander verbunden wie die einzelnen Zellen
des Körpers. Sie unterscheiden sich voneinander und haben eine Membran, und
diese ist durchlässig in beide Richtungen. Stoffe und Informationen
zirkulieren unablässig, das Leben fliesst im Körper als ganzem. Und
tatsächlich, die Wege des Austauschs sind jetzt etwas andere: das Telefon,
die Medien drängen sich vor.
Das unablässige Fliessen spüre ich vermehrt in der momentanen Situation, in
der sich die Wahrnehmung rasch ausgeweitet hat auf die ganze Welt, auf alle
Menschen. Es zeigt sich in den Zeichnungen: bis vor kurzem beschäftigte mich
das Thema des Mitfühlens mit einem mir nahen Menschen, sozusagen die mir
nächste Zelle - darauf bezieht sich die Zeichnung links. Und nun plötzlich
wird es komplexer, vielteilig, räumlich tiefer - man sieht es in der
Zeichnung rechts. Alles ist mit allem verbunden in einer unbekannten Weise.
Die unendliche Komplexität des bedingten Entstehens, von dem im Zen die Rede
ist, habe ich jetzt vor Augen. Und dabei ist es recht irritierend, dass wir
eng verbunden sind und uns gleichzeitig auf Distanz halten sollen. Eine
befreundete 95-jährige Frau sagte mir heute am Telefon, sie habe in ihrem
ganzen Leben noch nie etwas Ähnliches erlebt, im SeniorInnen-Zentrum sässen
sie nun plötzlich weit auseinander beim Essen. Die körperliche Identität ist
irritiert, der Körper möchte einfach nicht virtuell sein!
19. März - Dieter Wartenweiler
Es ist eigenartig. Die Sonne bringt uns
den Frühling mit voller Kraft, es ist warm, die ersten Blumen spriessen, das
Gras beim Zendo ruft schon nach dem Rasenmäher und die Vögel singen ihr
Lied. Und zugleich liegt nicht die gewohnte morgendliche Stille über dem
Land, sondern eine sonderbare. Eben war ich noch in Südfrankreich, und dort
kam es mir frühmorgens vor, als wäre ich der einzige Mensch auf dieser Welt.
Der Übriggebliebene nach der grossen Katastrophe. Und ich dachte: wie lange
kannst du allein überleben? Ohne Austausch, ohne im Dorfladen einkaufen zu
können, ohne jedwelche Versorgung? Vielleicht einige Tage, im besten Fall
einige Wochen. Oder doch länger - wie Robinson Crusoe auf der Insel?
Es wäre ein spezielles Leben. Die
Einsiedelei in Reinkultur. Endlose Introversion. Keine Antwort auf nichts.
Im Zen heisst es, man dürfe nicht in der Leere hängen bleiben. Aber da ist
gar keine Leere. Es wäre einfach das Leben unter anderen Umständen. Keiner
kann für ewig ins Nicht-Sein versinken. Die Vögel singen ihr Lied weiterhin,
mit und ohne Meditation. Die Blumen spriessen für Gesellschaftsmenschen und
für Einsiedler. Virusbedingte Ein-, Zwei- oder Familiensiedler haben einfach
ein etwas anderes Leben als sie sich es vielleicht vorher gewohnt waren.
Ein Freund von mir ist speziell
gefährdet, da er nicht nur eben seinen 75-jährigen Geburtstag hatte, sondern
weil er auch "vorerkrankt" ist, wie es so schön heisst. Vor dem Virus war er
schon krank. Vor nicht langer Zeit habe ich ihn im Spital besucht, und ich
sah, wie abgemagert er war - fast kannte ich ihn nicht mehr. Er war früher
beleibt, ein Genussmensch, und hat das Leben aus vollen Zügen ausgeschöpft.
Er ist aber auch ein spirituell ganz wacher Mensch (und man sieht - beides
geht zusammen). Vor einigen Tagen hat er mir per WhatsApp geschrieben:
"Interessant ist für mich zu erfahren, wie mein Avatar (Körper samt
Rest-Ego) reagiert. Immer mehr komme ich mir vor wie in einem Film oder
Traum und sehe das alles aus weiter Ferne, aus einer grossen Stille heraus."
Man ist gerne geneigt, aus schönen
Worten eine Schlussfolgerung zu ziehen. So etwas, wie eine Einsicht, oder
eine Empfehlung vielleicht. Das ist aber unnötig. Das Leben spricht für sich
selbst.
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